Art Brut im Museum Gugging: Bemerkenswert einzigartige Kunst

by Angelika Mandler-Saul

PatientInnen der Psychiatrie, die Kunst machen, ohne eine offizielle Ausbildung dafür genossen zu haben: Das sind die Art Brut KünstlerInnen, deren Werke in Museum & Galerie Gugging bei Klosterneuburg in Niederösterreich ausgestellt werden.

museum gugging innenraum
Museum Gugging

Wer hängt im Museum Gugging?

„Gugging“ – als Kinder kannten wir den warnenden Ausspruch: „…sonst kommst nach Gugging“, wenn man mal wieder (vermeintlich) verhaltensauffällig unterwegs war. Als Ausflugsziele sind mir die Lourdes-Grotte Maria Gugging und das Ausflugsgasthof „Waldhof“ mit dem schönen Intérieur aus den 1920ern ein Begriff. Das Museum Gugging habe ich (endlich!) jetzt aber auch besucht: Anlass war die Eröffnung einer Sonderausstellung mit dem Titel „visualized dreams“. Werke einer Künstlerin aus der Schweiz und zweier Künstler aus NÖ werden zwischen 7. Oktober 2021 und März 2022 hier gefeatured, zusätzlich zur Dauerausstellung mit Werken sogar mir bekannter Namen wie Tschirtner und Hauser.

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Beim Eingang des Museums Gugging

Hier hängt kein Klimt, kein Schiele und auch keine Xenia Hausner oder Maria Lassnig. Hier werden halbjährlich neue Ausstellungen kuratiert mit Werken von KünstlerInnen, die alle eines gemein haben: Sie sind oder waren PatientInnen der Psychiatrie oder haben psychische Beeinträchtigungen – sie sind aber ausschließlich aufgrund Ihrer künstlerischen Begabung hier vertreten. In den Sonderausstellungen hingegen schlägt man regelmäßig die künstlerische Brücke von Gugging in die Welt hinaus: Ob mit naiver Kunst oder auch tibetischen Tankas – Gugging war und ist dafür eine optimale Location.

Die Gugginger Künstler (manchmal auch die eine oder andere Künstlerin darunter) haben sich weltweit einen Namen gemacht und auch KünstlerkollegInnen wie André Heller oder Ernst Jandl und Friderike Mayröcker haben sich mit deren Art Brut Werken auseinandergesetzt. Im Juni 2021 feierte das Museum Gugging seinen 15. Geburtstag: Museum, Galerie, Atelier, Event-Location, Haus der Künstler und ein Café – das alles ist Gugging heute.

NÖ-CARD
Kleiner Tipp: Das Museum Gugging darf mit der Niederösterreich-Card einmalig gratis besucht werden.

Sonderausstellung „visualized dreams“

Kurator und künstlerischer Leiter Johann Feilacher, seines Zeichens ehemaliger Assistent und Nachfolger jenes Psychiaters der Gugginger Nervenheilanstalt, der Kunst zur Therapie machte, führt uns durch die neue Sonderaustellung im Museum Gugging. Die Schweizer Künstlerin Ida Buchmann (1911-2001), die Niederösterreicher Johann Fischer (1919-2008) und Johann Korec (1937-2008) haben in ihren Werken jeweils Bilder und Texte kombiniert und so ihre Träume und Fantasien visualisiert – auf vollkommen unterschiedliche Art und Weise. Eine coole Kombination und sehr bildgewaltig!

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Werke von Ida Buchmann in der aktuellen Sonderausstellung
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Entrée zu Ida Buchmann

Die expressive Künstlerin Ida Buchmann pflegte zuweilen, so Kurator Feilacher bei der Führung, ihre Werke unter Absingen von Operettenmelodien zu erschaffen. Sie war eine kleingewachsene Frau, die mit Verve riesige Leinwände bewältigte – und auch beim Präsentieren ihrer Kunstwerke trällerte sie zuweilen gerne vor sich hin. Feilacher hat sie persönlich kennengelernt, sie malte gerne plakativ groß und bunt.

Johann Fischer aus der Gegend am Wagram war ein ruhiger, fast stoischer Patient aus Pavillon 2, erzählt Feilacher weiter. Da im neu erschaffenen 11er Pavillon noch Platz für malende, zukünftige Patienten war, kam er kurzerhand zu der Künstlerriege hinzu, ohne sich jemals zuvor in dieser Richtung ausprobiert zu haben. Er war später der „Sir“ unter den Künstlern – mit ihm war man per Sie, ganz ohne Frage, erzählt Nina Katschnig, Leiterin der Galerie Gugging. Seine Werke beschreiben oft lehrbuchartig mit viel Text und genauen Zeichnungen Vorgehensweisen aus dem Weinbau – mit dem er aufgewachsen ist.

Johann Korec (oder „der Korec Johann“, wie er sich auf vielen seiner Werke im Text am Bild selbst nennt) war Knecht auf verschiedensten Bauernhöfen, bevor er nach Gugging kam. Er gehörte zu den ersten unter dem Psychiater Navratil (siehe unten), der offiziell ausstellen durfte. Ihm durfte Katschnig zuweilen assistieren, wie sie uns weitererzählt, als wir vor dem Bild „Karall Brigitte und der Korec Johann“ stehen. Stets saubere Künstlerfinger zu haben trotz der oft tropfenden Wasserfarben, das stand bei Korec ganz oben auf der Wichtigkeitsliste beim Malen – war diese Voraussetzung nicht gegeben, so musste der Schaffensprozess stante pede abgebrochen werden, schmunzelt Katschnig beim Erzählen. Sujets seiner Werke sind größtenteils Liebespaare, oft werden die Wunschpartnerinnen und tatsächlichen Parterinnen explizit mit Namen genannt.

Von der Irrenanstalt zum internationalen Art Brut Kunstcenter

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Memorial

Vor 100 Jahren wären wir hier direkt am Areal einer dezidierten „Landes-Irrenanstalt“ gestanden. Erst 1925 wurde es zur etwas wohlklingenderen „Heil- und Pflegeanstalt“. Während des NS Regimes war Gugging Teil einer verbrecherischen und menschenverachtenden Tötungsmaschinerie an psychisch kranken Menschen:

Am Campus des hiesigen Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) erinnert ein Memorial daran, dass Gugging ein Zentrum medizinischer Verbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus war (eine entsprechende Studie, die vom IST in Auftrag gegeben wurde, belegt dies).

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Unterwegs beim Haus der Künstler am ehemaligen Klinkgelände, heute Campus

1967 wurde Gugging zum NÖ LKH für Psychiatrie und Neurologie. Da hatte der hiesige Psychiater Leo Navratil schon zehn Jahre lang mit seinen Patienten das Zeichnen als Therapie ausprobiert. In den 1960er Jahren hatten die ersten Künstler aus Gugging Erfolge als „Art Brut“ Künstler.

Aber erst 1981 wurde der inzwischen bekannte Pavillon 11 als Zentrum für „Kunst-Psychotherapie“ zur Verfügung gestellt.

Museum Gugging
Gugging!

Zwei Jahre später wurde der Arzt und Künstler Johann Feilacher Navratils Assistent: Er führt unsere Pressegruppe durch die Sonderausstellung „visualized dreams“ – mein erster Besuch im Museum Gugging. Ab 1985 firmieren die Künstler der Männer-Psychiatrie in Gugging nicht mehr unter Patienten, der „Patientenstatus“ wird aufgehoben und das „Zentrum für Kunst- und Psychotherapie“ zum Haus der Künstler. Der Mensch und Künstler steht im Mittelpunkt.

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Haus der Künstler Gugging

Der Pavillon 11 der Männer-Psychiatrie Gugging brachte Künstler wie Johann Hauser, August Walla, Oswald Tschirtner hervor – sie sind weltbekannt und ihre Werke hängen nicht nur in Wien in den bedeutendsten Kunsthäusern wie der Albertina und dem MUMOK, sondern auch in New York, Philadelphia und Tokyo. Einen guten ersten Überblick (für Anfängerinnen wie mich) über das Museum Gugging und seine KünstlerInnen geben die Videos im Virtuellen Museum auf Youtube. 2007 kam dann das AUS für die Patienten in Gugging – sie wurden nach Tulln und Baden verlegt, Platz für die IST Eliteuni wurde geschaffen, das Museum Gugging bestand bereits seit 2006, die Galerie Gugging seit 1994.

Workshops für Familien gibt es hier genau so wie Kreativwerkstätten, Führungen für Schulklassen oder Lesungen von Josefstädter SchauspielerInnen. Die „Villa“ wird zudem für private Events vermietet.

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Das museum Gugging – Ausblick hinauf zum Café

Ausflugstipps rund um Gugging

Von Kultur allein können wir nicht leben, wir müssen auch essen und Ausflüge machen – so mein persönliches Credo. Deswegen würde ich einen Kulturausflug immer auch mit Natur und Kulinarik-Genuss verbinden. Das geht hier rund um Klosterneuburg recht gut, auch wenn es nicht meine dezidierte Ausflugs-Lieblingsgegend ist, weil: Gerne mal überlaufen am Weekend. Dennoch: In die Hagenbachklamm kann man auch mal unter der Woche und ohne Sonnenschein wandern – der Hund freut sich immer. Der Waldhof lohnt ebenso einen Abstecher wie die erwähnte Lourdes Grotte, die ich noch aus Kindertagen kenne. Im Naturpark Eichenhain wartet eine Greifvogelzuchtstation auf Besucher, der Altarm Greifenstein zum Chillen und Baden ist per Auto auch nicht weit. In Klosterneuburg selbst gibt es einen Historienpfad zum Erkunden – in jedem Fall aber immer lohnenswerte Führungen im Stift – mit verschiedensten Themen.

HINWEIS: Ich wurde im Rahmen einer Presseveranstaltung zum Besuch im Museum Gugging eingeladen.

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