Festspiele gibt es in Gutenstein im Piestingtal seit 1993. Vor drei Jahren bot Andrea Eckert mit Mitterers Stück über Raimunds Leben eine Weltpremiere. 2022 ein Zauber-Experiment unter dem künstlerischen Leiter Johannes Krisch.

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Die Raimundspiele Gutenstein
Mit einer Unterbrechung, in der man eigens geschriebene Musicals („Egon Schiele“, „Gustav Klimt“) aufführte, widmet sich die Location in Gutenstein seit jeher Ferdinand Raimund und seinen Stücken. Ab 2015 war Andrea Eckert Intendantin und erstmals gab es 2019 eine Welturaufführung, die sich mit dem Leben von Ferdinand Raimund befasste – nicht mit seinen Werken. Geschrieben von Felix Mitterer eigens für Gutenstein, interpretiert von Johannes Krisch und mit einer kleinen, aber wandelbaren Schauspieler Riege auf die Bühne gebracht: Beste Voraussetzungen damals für ein begeistertes Premierenpublikum im Festzelt und im Park in Gutenstein.

Update 2022: „Die Gefesselte Phantasie“ und ein neuer künstlerischer Leiter
Da man aber nicht alle Jahre „Der Bauer als Millionär“ spielen kann, wie Krisch jüngst in einem ORF Interview höchst treffend formulierte, muss man sich neben Auftragswerken wie Mitterers Raimund-Lebensgeschichte und den bekannten Standardwerken auch mal was anderes einfallen lassen. Oder sich eben trauen. So geschehen bei der Premiere 2022, als Neo-Intendant Johannes Krisch (Andrea Eckert war im Jänner 2021 von der Intendanz „zurückgetreten“) mit „dem „Original Zauberspiel“ „Die Gefesselte Phantasie“.

Raimunds Stück kam 1828 bei der Kritik ob des teils geschraubten Stils nicht unbedingt gut an und auch 2022 konnten meines Erachtens die Premierengäste im hochsommerlichen Piestingtal nur wenig mit dem Text anfangen. Gut, dass die Licht- und Musikszenerie vom Text abzulenken vermochte und einige Szenen, wie etwa die des Harfenisten Nachtigall (wirklich gut: Edu Wildner) auch weniger theaterbegeisterte Gäste im Publikum dennoch zumindest zeitweise „abholen“ konnten. Und auf der Tribüne Mitte oben hatten sich offenbar höchst begeisterte Claqueure eingefunden, die ihre Sache gut machten….

Die Rolle des Nachtigall und die Szenen rund um die höchst belebte Wiener Wirtshauskultur der damaligen Zeit sind Raimund treffend gelungen und konnten mich auch bei der Premiere 2022 überzeugen. Denn Krisch konnte niemand geringeren als den 88-jährigen Achim Freyer für seine Phantasie gewinnen, der in einer groß angelegten (Medien)Aktion auch gleich das Theaterzelt Anfang des Jahres neu gestalten durfte. Auch die Skulpturen rundum im schönen Park stammen aus seiner Hand. Zur Premiere war der Regisseur nicht anwesend, er war wegen einer Bronichitis im Krankenhaus. Krisch, das Ensemble und das Publikum sandten nach dem Schlussapplaus die besten Genesungswünsche, Krisch mit brüchiger Stimme, die weitaus Schlimmeres vermuten ließ.


Und die Inszenierung? Riesige Puppenfiguren, Protagonisten, die einander niemals in die Augen schauen, sondern stets aufs Publikum starren, Masken, Farben, Lichteffekte.
Ein Ensembleteam aus dem Theater in der Josefstadt, darunter die wunderbare Michaela Klamminger und Tobias Reinthaller, der mit seiner Hunde-Schaf-Meute gleich mal einen Szenenappaus beim allerersten Auftritt einheimste. Zu Recht übrigens. 15 Aufführungen stehen in dieser Sommersaison am Plan.
Bewährte SchauspielerInnen wie Johannes Seilern und Larissa Fuchs als Hermione mit überlanger, nie enden wollender Schleppe und im ewigen Slow-Modus über die Bühne ziehend, dazu der erwähnte Edu Wildner. Tini Kainrath, die ruhig hätte mehr singen können. Krisch selbst als Narr, der im Singsang-Stil auch gerne mal an André Heller erinnerte.
Einiges an Theaterprominenz bei der Premiere vorort, darunter Alexander Waechter, Felix Mitterer, Franz Morak, Josefstadt-Kollege Ulrich Reinthaller, Erika Pluhar und Claus Peymann, der anderntags bei den Festspielen Reichenau verpflichtet war.
Die lokale Blasmusik Gutenstein spielte ein Ständchen, das aber aufgrund der verkleinerten Truppe (die Hälfte war davon bei der Feuerwehr und bei der Löschung der Waldbrände rund um Gutenstein im anderweitigen Einsatz) musikalisch etwas dürftig ausfiel.
Das Gesamt-Erscheinungsbild mit dem neuen Zelt, dem Park rundum und der Traumkulisse aber – wie auch 2019 – ein wunderschönes Ambiente für´s Sommertheater mit klingenden Namen wie Krisch und Freyer als Zugpferde. Ob ein solch Zauberspiel Sommertheatergäste, die ansonsten wenig mit Theater am Hut haben mögen, nach Gutenstein locken wird?


„Brüderlein Fein“ – Die Welturaufführung von Felix Mitterer in Gutenstein 2019

Wenn sich Felix Mitterer eines Sujets annimmt, dann kann man sicher sein, dass er historische Fakten mit einem guten Teil Empathie und Menschenkenntnis verbindet und daraus ein repräsentatives und mitreißendes Bild seines Protagonisten zeichnet. So ist es wohl auch bei seinem „Brüderlein Fein“ über Ferdinand Raimund von statten gegangen. Was wir vorher über Raimund aus Gymnasium Zeiten und aus dem Theaterspielplan ansatzweise wussten – dieses rudimentäre Wissen ist jetzt um einige Facetten bereichert.
Vorher: Zauberspiele und „Volksstücke“, Tollwut, Selbstmord, die ewigen Feenwelt-Parallelstories, brave Couplets und eben Gutenstein im Piestingtal, wohin sich der Meister zurückzuziehen pflegte und wo er auch begraben ist.
Was wir nun nach der Welturaufführung in Gutenstein am 11. 7. 2019 über Ferdinand Raimund wissen? Irgendwie war er eine arme Socke und mit beileibe nicht soviel Charisma und natürlicher Frechheit wie sein späterer Widerpart Johann Nestroy ausgestattet. Er war Hundefreund, Hypochonder, ein Zornbinkel sondergleichen, manchmal unfreiwillig komisch – gute Stimme hatte er keine und mit den Frauen hatte er wenig Glück. Lieber hätte er Tragödien statt Komödien geschrieben, aber das Wiener Publikum stand Schlange, um von ihm unterhalten zu werden: Erst als Schauspieler, dann als Autor von Volksstücken. Tragische Stücke und Rollen wollte man von ihm nicht sehen. Auch das war wohl seine persönliche Tragik.
Ferdinand Raimund – Wie er wirklich war.
Erst war er Lehrling beim Zuckerbäcker auf der Freyung, dann verkaufte er als „Numero“ Backwaren in den Theaterpausen und später tingelte er als Schauspieleleve durch die Lande. An der Josefstadt debütiert er 1814 als Franz Moor, wird aber dafür kritisiert, seine verehrtesten Kollegen sklavisch nachzuahmen ohne einen eigenen Stil zu haben. Oft wird er belacht und ausgelacht, wenn er dabei unfreiwillig komisch wirkt. Angeblich soll er über sich selbst gesagt haben: „Ich bin zum Tragiker geboren, mir fehlt dazu nix, als die G’stalt und ’s Organ“.
Nach einigen unerfreulichen Zwischenspielen und Affairen lässt er die am Traualtar auf ihn wartende Kollegin Louise Gleich erstmal stehen und entfacht damit einen Theaterskandal in Wien. Das Publikum „zwingt“ ihn quasi zur Hochzeit, unwissend, dass seine zukünftige Frau nicht von ihm, sondern von Graf Kaunitz (eine unrühmliche Akte belegt dessen umtriebigen Frauen-„Käufe“ zu dieser Zeit) schwanger ist.

Als er unter Zwang dann doch heiratet, wird das Schauspieler Paar und der vermeintliche Sieg der Moral gefeiert. Weil Raimund aber bald hinter die Chose kommt und zudem zu Zornesausbrüchen und Gewalttätigkeit neigt (ihm wird aber auch übel mitgespielt), zerbricht die arrangierte Ehe und die brave, aber ungebildete Sitzkassierin Antonie darf sich emotional wieder um ihn kümmern.
Allerdings ohne offiziellen Segen – Geschiedene dürfen nicht wieder heiraten. Sie macht also keinen guten Griff mit dem Publikumsliebling Raimund, wegen dem man sich damals schon mal stundenlang anstellt, um ihn auf der Bühne als Komiker sehen zu können. Raimund wird Regisseur und will nicht mehr spielen, sondern „echte Kunst“ bieten. Er wird Theaterdirektor in der Josefstadt, danach reist er jahrelang gastspielend durch die Lande.
Ab 1834 hat er in der Nähe von Gutenstein ein Haus, wohin er immer wieder hin zurückkehrt. Zu Haus und Hund – letzterer wird dem Hundefreund zum Verhängnis. Das aber weiß man dann wieder aus der Schule.
Johannes Krisch gab den Raimund 2019 mit viel Perücke, Körpereinsatz sowie Flausch-Hundehandpupe Ariel und war damals für gute zwei Stunden Ferdinand Raimund – jetzt kann man sich wirklich plakativ vorstellen, was damals in dessen Leben los war. Krisch spricht auch genau den Wiener Dialekt, den man sich bei Ferdinand Raimund vorstellen mag.



(Pressefotos: Raimundspiele Gutenstein, Joachim Kern)
Mitterers Stück riss die vielen „Baustellen“ im privaten Leben Raimunds nur an – aber so, dass man nachher alles nachlesen und sich mit dessen „nur“ acht Stücken nicht mehr zufrieden geben will. Traurig, aber schön – das „Brüderlein Fein“ Lied:
Scheint die Sonne noch so schön, einmal muss sie untergeh´n.
Entspannte Stimmung in Gutenstein
Im Bleichgarten und Park rund um das Theaterzelt in Gutenstein hat man als Theaterbesucher dankenswerter Weise viel Platz. Zum Schauen, Flanieren, Füße abkühlen und Rumsitzen.
Hier arbeiten regelmäßig viele ehrenamtliche Gutensteiner am Gelingen der Aufführungen mit und dass man sich schon vor der Pause mit bezahlten Bons eindecken kann, damit das mit dem Trinken dann – wenn´s pressiert – schneller geht, das ist eine ebenso einfache wie geniale Idee. Grün ist es, ruhig ist es und die Festspielgäste haben Platz – das ist ja bei nicht allen Sommertheater Locations so großzügig angelegt. Eine sehr feine Stimmung hier draußen. Oder wie es Johannes Krisch im Interview einst nannte: Eine „unangestrengte“ Atmosphäre. Ja, das trifft es hervorragend.

Hinweis: Ich habe für die Premieren 2019 und 2022 jeweils zwei Pressekarten erhalten. Der Artikel wurde nach der Premiere 2022 aktualisiert.