Tulln: Privatissimum mit Egon Schiele

Das Schiele Museum an der Donaulände in Tulln

by Angelika Mandler-Saul

Eine Ausstellung der etwas anderen Art findet man seit April 2018 in Tulln zu Egon Schiele: Hier dominiert Kulturvermittlung mittels „Augmented Reality“ und „Oral History“ – Egon Schiele ganz PRIVAT im neu gestalteten Schiele Museum.

An der Donaulände in Tulln: das Egon Schiele Museum

Egon Schiele ganz privat erleben – in Tulln.

(Kuratorenführung)

Keine Museumsräume mit unlesbar winzigen Wandtexten, keine verstaubten Repliken oder endlos lange Museumsgänge. Das 2018 neu eröffnete Egon Schiele Museum ist übersichtlich und klein, aber hat es doch in sich.

Tulln Egon Schiele Museum Donaulände
Entrée zum Schiele Museum in Tulln an der Donaulände

Hier läuft fast alles ganz privatissimum im eigenen Kopf ab – dazu brauchen die Besucher nur ihre Ganglien benutzen, ihre Fantasie spielen lassen und dazu einen Kopfhörer aufsetzen. Alles andere entsteht im Kopf wie von selbst:

Ein Privatissimum mit Egon Schiele quasi. Ein intimes, audiovisuelles Treffen mit Menschen, die ihn persönlich gekannt haben: Seine Schwestern und seine Schwägerin. 

Seit der Wiedereröffnung im April 2018 haben 12.000 Menschen Schiele „privat“ an der Donaulände in Tulln -gegenüber der Donaubühne- besucht. Ein Jahr später gibt es nun ein Update in der Schiele Schatzkammer im Erdgeschoß des Museums. Zusätzlich zur Dauerausstellung im ersten Stock werden nämlich ab sofort zu ebener Erd´ im Ausstellungsraum die Exponate alljährlich ausgetauscht und ein neuer Focus gesetzt.

Egon Schiele Privat museum tulln

Direkt vor dem Museum befindet sich der neue Kinderspielplatz direkt beim Museum – Spiele, die auch der kleine Egon gespielt hat. Vielleicht. Wahrscheinlich.

Die Dauerausstellung im Egon Schiele Museum Tulln

Hier winken und zwinkern einem die Damen an der Wand zu, wenn man sie länger beobachtet. Manch´ eine streicht auch verträumt über ihren Rock – ein wenig wird man an Harry Potter und die interaktive Berichterstattung des „Tagespropheten“ erinnert.  Bevor man in den ersten Stock des ehemaligen Gefängnisses von Tulln steigt, lernt man nämlich diese (inter)aktiven Damen kennen – sie alle haben eine wichtige Rolle in Schieles Leben gespielt. Bei meinem Zweitbesuch ein Jahr später – zwinkern die Damen aber leider nicht mehr. Liegt´s an mir? 

erdgeschoß tulln museum schiele
tulln egon schiele museum: was haben Sie vor

Oben angekommen geht´s schon los mit den bewegten Bildern: Die wichtigsten Schiele Forscher kommen in Videos zu Wort und schließlich taucht man ganz tief ein in die Forschung der „oral history“: Menschen fragen und andere erzählen.

In Schieles Fall ist es die Texanerin Dr. Alessandra Comini, eine Wissenschafterin, die über die Portraitmalerei Schieles an der Boston University dissertiert und zuvor auf für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Art und Weise über ihr Idol recherchiert hat. Sie ist 1963 ganz unmittelbar eingetaucht in Schieles Welt, oder was damals noch davon übrig war:

Sie hat nämlich  – als Frau in den 1960er Jahren – die letzten noch lebenden Zeitzeuginnen kurzerhand in Österreich besucht, befragt und sich mit ihnen angefreundet.

So konnte sie private Dinge über Schiele erfahren, die damals noch weitgehend unbekannt waren. Sie sprach mit Schieles Schwestern Melanie und Gerti sowie mit seiner Schwägerin Adele über das, was sie wussten und gemeinsam erlebt hatten.

Diese Interviews stehen dem Museum in Tulln nun exklusiv zur Verfügung und deshalb „eignet sich kein Ort besser, um Egon Schiele als Mensch kennen zu lernen“, so Christian Bauer, der Kurator des Museum und Direktor der Landesgalerie in Krems.

Tulln egon schiele museum augmented reality
Augmented Reality – die Gespräche Cominis mit den Schiele Schwestern stehen im Mittelpunkt

Als ich vorort in Tulln zu Presse-Eröffnung des Museums im April 2018 geladen war, ist sie auch hier: Die 1934 geborene Forscherin und Schiele-Doyenne ist extra nach Tulln (!) gekommen, um noch einmal Schnurren zu erzählen. Über Gerti, Mela und Adele und deren Geschichten über die Familie Schiele, über Klimt und Wien um 1918 – und über Egons wildes Verhältnis mit Wally Neuzil – die Frauen in Schieles Leben.

Ich kann mir gut vorstellen, wie ihr in den 1960er Jahren zumute war, als sie nach Jahren der Schiele-Forschung mit einem Volkswagen und einem riesigen Tonbandgerät in Niederösterreich unterwegs, vorort von Schieles Schwestern im Plauderton schließlich soviel Privates erfuhr und dokumentierte – „Oral History“ ist eine aufregende Facette der Forschung, finde ich.

ausstellung tulln schiele 2018
Ein Exponat der Wechselausstellung 2018

Ich selbst liebe es auch, private Briefe und Tagebücher meiner Lieblings-Schriftsteller zu lesen und ähnlich muss es ihr damals ergangen sein: Mit jedem Satz ihrer Gesprächspartnerinnen dürfte sie in die Welt ihres verehrten Egon Schiele weiter eingetaucht sein – und heute können wir Museumsbesucher in Tulln diese Erzählungen virtuell miterleben.

Denn das Museum baut auf diesen ungewöhnlichen und spannenden Gesprächsdokumenten auf: In 6 Kojen des ehemaligen Bezirksgerichts Tullns, die nur auf den ersten Blick vollkommen leer wirken, werden die Stätten der damaligen Interviews wieder lebendig.

So werden etwa der Bahnhof von Tulln (wo Schiele aufwuchs), sein Klassenzimmer in Klosterneuburg oder seine Gefängniszelle in Neulengbach („Affäre Neulengbach“) zum Leben erweckt. Mittels Kopfhörer und einem Bildschirm, auf dem diese Situationen nachgestellt sind. Sobald man sich einem Zimmer nähert, hört man im Kopfhörer die dazugehörigen Stories von Schiele privat: Frauen erzählen einander Privates über Schiele und der Besucher ist bei diesen intimen Gesprächen mit dabei.  Zeit nehmen, zuhören und sich einlassen auf diese Eindrücke!

Gestaltet wurde die „Augmented Reality“ Ausstellung mit historischen Fotografien von „toikoi_erzählende räume“. Neben dem Eingang befindet sich die „Schatzkammer“ des Museums, in der zur Zeit das Leben von Schieles Vormund Leopold Czihaczek dokumentiert wird.

Zeichenfeder Schieles in der Schatzkammer

Tipps für Tulln – mit und ohne Schiele

Tulln Bahnhof der Geburtsort Egon SChieles

Schieles Geburtshaus am Bahnhof Tulln

Die „Außenstelle“ des Museums an der Donaulände kann man den ganzen Tag lang besuchen: Mit einer Zwei-Euro Münze ist man mit dabei und steht mitten in jenem Zimmer, in dem Egon Schiele zur Welt gekommen ist.

bahnhof tulln geburtsort egon schiele

Die Räume sind im Gründerzeit Stil eingerichtet – so oder ganz ähnlich dürfte eine begüterte Familie wie die Schieles (sein Vater war Bahnhofsvorstand und damit einer der angesehnsten Männer Tullns) damals gewohnt haben. Sein Vater verstarb früh an Syphilis, sein Vormund wurde der obgenannte Großbürgerliche Leopold Czihaczek. Unter so genannten „Sound – Duschen“ kann man im Zimmer, wo Egon und seine Schwestern einst gespielt und geschlafen haben – hineinhören in das Leben des – EGON SCHIELE PRIVAT, der 1918 im Alter von 28 Jahren – 8 Monate nach Gustav Klimt und 3 Tage nach seiner schwangeren Frau Edith an der Spanischen Grippe stirbt.

Weiterführende Literatur zu EGON SCHIELE

schiele weg durch tulln
Der Schiele Weg durch Tulln macht natürlich auch am Bahnhof bei seinem Geburtshaus Halt.

Hinweis: Ich konnte das neu gestaltete Schiele Museum in Tulln mehrmals im Rahmen von Presse-Führungen besuchen.

 

1 comment

Andreas 10. April 2018 - 21:35

Sehr spannend.

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